07 März 2018

Feuertaufe am Dunkelmeer

Mit der einsetzenden Südströmung nach dem Winter kamen sie und wollten Beute machen: Eine kleinere Flottille aus schnellen Seglern wollte offenbar die Gunst der Stunde und die Verletzlichkeit einer geschundenen Stadt nutzen und sie ausplündern. 

Mit schwarzen Segeln kamen sie in der noch dunklen Dämmerung. Nur die zwei angedeuteten flammenden Augen auf den Segeln ließen erkennen, dass es sich bei den Angreifern um einen Bund handeln musste. Und dieser ging schnell und jäh zu Werke. Während ein guter Teil der Flottille rasch die Mündung des Dhonov passieren und am noch in Teilen zerstörten Hafen der Isinghal (der Flussinsel) anlanden konnte, griff ein anderer Teil mit bemannten Beibooten über den Strand des Westufers und die noch beschädigten Stadtmauern an. So wollte man wohl die Stadt und deren Verteidigung in die Zange nehmen. Der Plan war sicher kühn, und er hätte auch leicht und gut gelingen können.

Die Piratenbande schien denn auch kein zusammengewürfelter Haufen aus Kielschweinen und Treibgut gewesen zu sein. Nein, es waren - das muss im Nachhinein gesagt werden - energische und entschlossene Plünderer, die da zu Werke gehen wollten; und nicht alle gehörten dem Menschenvolk an.

Womit sie aber offenbar nicht gerechnet hatten, war die Beherztheit, mit der sich die Stadt wehrte. Vermutlich rechnete die Bande immer noch mit einer verwundbaren, in ängstliche Starre verfallenen Stadt, die ihre Wunden leckte. Aber das Gegenteil war der Fall. Jenseits von allem Trubel und in aller Stille hatte der Stadtrat die Festung an der Mündung des Dhonov sowie die nötigsten Strandanlagen wieder instand setzen lassen, so dass das Moment der Überraschung, in dem sich die Angreifer wähnten, rasch gebrochen werden konnte. Von den Stadt- und Festungsmauern regnete es schnell Brandpfeile und Eisenschrot. In den engen Gassen der Unterstadt und des Burgviertels kam es dann zum Handgemenge. Am Ende eines hitzigen Vormittags kämpften Stadtwache neben der Bürgermiliz und den “Zünftigen”, einer einberufenen Schar gut zupackender Angehöriger verschiedener Handwerkszünfte. Hinzu kam, dass gerade ein bewaffneter Handelszug der Hanse von Lubeka in der Stadt war. Dieser hatten die Warenlager Stadt erst unlängst mit Wintergetreide gefüllt, und dessen “Waffenbrüder” (Anmerkung: Dies ist der Name des Geleitschutzes) fochten nun wacker Seite an Seite mit der Stadtwache und einigen “Freien” um das Untertor am Hafen.

Durch die Gassen gellten Rufe wie “Keine Beute!” und “Bürger! Lanz’ voran!” Offenbar hatte die Stadtwache mitunter Sorge, die Bürger könnten selbst zu einer wütenden Woge werden, die im Eifer in Raserei verfällt. Aber letztlich konnten alle die Beutemacher zurück an den Strand werfen, wo sie dann Hals über Kopf in ihre Beiboote flüchteten. Fast zur selben Zeit wurde das Untertor freigekämpft und die Piraten mussten auch hier klein beigeben.

Als dann die verbliebenen Segler, die fliehen wollten, mitten auf dem ruhigen Meer unter einer hohen grüngrauen Wand aus Wasser begraben wurden, war der Angriff schlussendlich vorüber und gescheitert. Die Stadt konnte aufatmen, die Wache und die Miliz hatten ihre erste Feuertaufe gegen einen beherzten Gegner bestanden.

Eher beunruhigt war man jedoch später, als man die Leiber der erschlagenen Plünderer auf dem Henkersfeld zusammentrug, um sie dort zu verbrennen. Obwohl die meisten von ihnen gewöhnliche Menschen zu sein schienen, befanden sich auch einige tote Orks und sogar Dunkelelfen unter ihnen. An ihnen fanden Inspekteure der Stadtwache dann auch die flammenden Augen als Tätowierung wieder, die vorher bereits auf den Segeln der Angreifer prangten. Da aber niemand von Amt und Stand zu wissen schien, ob und um welchen Bund es sich bei den “Feueraugen” handeln könnte, war man allenthalben ratlos und konnte wenig mehr tun als die Scheiterhaufen anzuzünden.

Trotz dieses Sieges blickt man nun sorgsam aufs Meer und die Wachen sind derzeit verdoppelt. Entweder leckt irgendwo ein angeschlagener Piratenbund seine Wunden, oder aber er sinnt auf Rache und Vergeltung. Der Stadtrat plant nun, so sagt man, die umliegenden Länder aufsuchen zu lassen, um mehr Kunde über diesen Bund zu erlangen und sich zu beraten; und auch, um die Freunde in der Region zu warnen, besonders jene, die auch Land und Städte an einer Küste halten.