28 November 2018

Ein Tag des Gedenkens

Am ersten Jahrestag der großen Novemberflut begingen die Bürger Lubeca Novas einen Tag des Gedenkens und der Besinnung.

Ist es wirklich schon ein Jahr her? Schien es nicht erst letztens, als die große Flutwelle den Dhonov hinab raste und große Teile der Stadt mit sich ins Meer riss? In der Tat, misst man die Anzahl an Tagen seit der schweren Flut, scheint es noch nicht lange her.

Tatsächlich war es aber vor mehr als einem Jahr, am sechsten Novembri 1217, als sich die Wassermassen den Dhonov entlang wälzten und unzählige Bewohner der Stadt mit in den nassen Tod rissen. Jetzt, zwölf Monate nach der Katastrophe, konnte der Stadtrat dem Wort “unzählig” eine traurige Zahl geben: mehr als achttausend Seelen haben in jener Nacht das Leben gelassen oder sind später an den Folgen dieses schweren Unglücks gestorben.

Seitdem hat der neu gewählte Stadtrat und eine Heerschar an Freunden und Helfern nichts unversucht gelassen, um das Leid in der Stadt zu lindern.Geht man heute durch die Gassen und über die Plätze der Stadt, will einem scheinen, das ganze Unheil sei erst kürzlich über die Stadt herein gebrochen. Der alte Hafen auf der Isinghal, der Flussinsel, liegt noch immer unter Wasser, ebenso das Hafenviertel, das ehemals “verrchte Herz” der Stadt. In den handwerksvierteln werden etliche der sogenannten Gruben, den ehemaligen Zunfthöfen, immer noch von Unrat und Abfall freigeräumt. Stadtwache und auch angeheuerte Bewaffnete patrouillieren immer noch die Höfe rund ums Burgenviertel und die Tempelanlagen, und überall sieht man Baumeister und Vorarbeiter mit Messleisten, Karten und Zirkel die neu anzulegenden Gassen ausmessen.

Um diesem tragischen Ereignis, vor allem aber auch den daraus erwachsenen Hilfeleistungen und Freundschaftsbekundungen Rechnung zu tragen, hat der Stadtrat einstimmig beschlossen, den sechsten Novembri künftig als “Tag des Gedenkens” zu begehen. An diesem Tage, so lautet das Edikt, soll die Arbeit ruhen, die Armen verköstigt und der Blick nach innen gerichtet werden. Nach innen heißt, die Menschen sollen innehalten und sich wieder gewahr werden, dass das Meer und das Wasser die bestimmenden und manchmal schicksalhaften Größen an der Küste darstellen. Die Menschen am Dhonov sollen sich wieder auf die Mutter Urastë besinnen, die nicht nur die Mutter des Meeres ist, sondern auch die Bewahrerin dessen, was die Alten der Stadt immer noch das “untere Wasser” nennen, die tiefen, unergründlichen Quellen aller Seen und Flüsse.

Und so kam es, dass am sechsten Novembri, am ersten Tag des Gedenkens, die Stadt ihrer Opfer gedachte. In einer großen Prozession schritten die Bewahrer des Muscheltempels vom Tempelviertel über das Burgenviertel und dann hinunter zum Meer, und viele, viele Bürger und Angereiste folgten ihnen. Dort hinter der muschelbewachsenen Seemauer, entlang der Dünen, war es, wo der Erste Bewaher Torstan Akamarinen den heiligen Muschelkelch Urastës mit frischem Seewasser füllte und vor den Augen der Versammelten in einen grün sprudelnden Gischtbrunnen verwandelte; eben jenen legendären Kelch, den der Erneuerer und Begründer Kirek sil’Silanesh als Zeichen des Bundes vor hunderten von Jahren von der Meeresgöttin selbst erhalten hatte. Im Anschluss an die Prozession und Messe nahm der Bewahrer dann etliche Männer und Frauen in den Kult der Meeresgöttin auf, bevor schließlich die Armen der Stadt in den Zelten am Strand verköstigt und mit milden Gaben bedacht wurden.

Dem Gedenktag Lubeca Novas wohnten auch zahlreiche Gäste aus dem Ausland bei. Vertreter der Königreiche Stauchens und Burgunds sowie des Fürstentums Durée-Caresse und der Gemarkung Fälisch Luchsenstein wurden unter den Anwesenden gesehen. Interessanterweise waren auch einige Vertreter des Åaleruner Bundes zugegen. Zuletzt hörte man in Ratskreisen, in dieser jungen Region der östlichen Küste des Dunkelmeeres hätte sich ein Bund aus Händlern zusammengeschlossen und würde sich für einen Beitritt zur Hanse interessieren. Vielleicht wird man deshalb künftig öfter Leute aus diesem Landstrich in der Stadt treffen. In jedem Falle, so hört man, haben sich die Åaleruner kräftig an der Armenspeisung beteiligt und auch großzügig dem Muscheltempel gespendet.